Expertenwissen, Baugrund
Hydraulisch bedingtes Versagen im Allgemeinen und Hydraulischer Grundbruch im Speziellen
Wasser im Baugrund strömt und drückt und kann das Errichten von Gebäuden behindern. Aber auch im fertigen Zustand kann es zu einem sogenannten Versagen kommen. Eine gute Planung und das Wissen um die „Wassersituation“ rund um das Gebäude können das verhindern.
1. Einführung
Unsere gesamte Infrastruktur wie Straßen, Brücken, Tunnel, aber auch jedes Wohngebäude kann nur dann sicher und dauerhaft gegründet werden, wenn dabei auch der Baugrund ausreichend berücksichtigt wird. Da es sich beim Baugrund aber nicht um ein industriell gefertigtes Produkt handelt, stellt die Geotechnik eine komplexe und äußerst interessante Fachdisziplin des Bauingenieurwesens dar. Gesteigert wird diese Komplexität immer dann, wenn das Grundwasser so hoch ansteht bzw. die Baumaßnahme so tief greift, dass das zu errichtende oder bestehende Bauwerk auch durch das Grundwasser beeinflusst wird. Im einfachsten Fall sind dann etwa Drainage- und/oder Abdichtungsmaßnahmen für Untergeschosse im Wohnungsbau vorzunehmen, um eine Durchfeuchtung und damit eine Beeinträchtigung der Gebrauchstauglichkeit zu verhindern. Bei komplexeren Baumaßnahmen und/oder schwierigeren hydrogeologischen Verhältnissen gilt es hingegen, auch hydraulisch bedingtes Versagen im Bau- und Endzustand und damit eine Gefährdung der Tragfähigkeit zu verhindern.
2. Hydraulisch bedingtes Versagen
Neben dem hydraulischen Grundbruch (vgl. Abschnitt 3) können infolge von Grundwasserströmungen oder Porenwasserdrücken im Wesentlichen drei weitere Versagensformen auftreten. Diese sind das Versagen durch Aufschwimmen, das Versagen durch innere Erosion und das Versagen durch Piping (vgl. DIN EN 1997 1 [6]).
2.1 Aufschwimmen
Beim Aufschwimmen kommt es durch den Porenwasserdruck, z. B. unterhalb eines Bauwerks, zu einem Aufschwimmen des gesamten Bauwerks. Gleiches kann eintreten, wenn sich unter einer wenig durchlässigen Schicht ein so großer Porenwasserdruck aufbaut, dass dieser das Gewicht der wenig durchlässigen Schicht inklusive eventuell überlagernder Schichten überschreitet. Bei Baugruben gibt es nach EAB (vgl. [8]) vier wesentliche Fälle, bei denen Versagen durch Aufschwimmen auftreten kann. Dies ist dann der Fall, wenn die Baugrube durch eine Unterwasserbeton- oder Düsenstrahlsohle abgeschlossen ist oder wenn z. B. durch Injektion in Höhe des Fußes der Baugrubenwand eine annähernd undurchlässige Dichtungsschicht hergestellt wurde. Weiterhin kann Versagen durch Aufschwimmen auftreten, wenn die Verbauwände in eine annähernd undurchlässige Bodenschicht einbinden oder wenn in ausreichender Tiefe unter der Baugrubensohle eine annähernd undurchlässige Schicht ansteht, die von einer durchlässigeren Schicht unterlagert wird.
Gerade bei den beiden zuletzt genannten Fällen kann je nach Verhältnis der Durchlässigkeiten der einzelnen Schichten der Übergang zwischen Aufschwimmen und hydraulischem Grundbruch (vgl. Abschnitt 3) fließend sein. Daher ist nach EAB sowohl der Nachweis der Sicherheit gegen Aufschwimmen als auch der Nachweis der Sicherheit gegen hydraulischen Grundbruch zu führen, wenn sich die Durchlässigkeiten um weniger als den Faktor 100 unterscheiden.
2.2 Innere Erosion und Piping
Im Gegensatz zum Aufschwimmen werden die Versagensformen innere Erosion und Piping nicht durch den Porenwasserdruck, sondern durch Strömung hervorgerufen. Bei der inneren Erosion kommt es infolge der Grundwasserströmung zu einem Transport von Bodenteilchen innerhalb einer Bodenschicht, an Schichtgrenzen oder an der Kontaktfläche zwischen dem Boden und einem Bauwerk. Dies kann schließlich zu einer rückschreitenden Erosion und damit zum Einsturz des Bauwerks führen (DIN EN 1997 1).
Beim Piping, das auch als Erosionsgrundbruch bezeichnet wird, handelt es sich um eine Sonderform der inneren Erosion.
Piping beginnt an einer Gewässer- oder Baugrubensohle durch Herauslösen von Bodenteilchen und setzt sich entgegen der Fließrichtung des Wassers in den Boden hinein fort. Erreicht die so entstehende Röhre („pipe“) freies Oberwasser, z. B. in Form eines Staubeckens, wird sie innerhalb kürzester Zeit aufgeweitet und führt zu einem dem hydraulischen Grundbruch ähnlichen Versagenszustand (EAU).
2.3 Nachweisführung
Ausreichend Sicherheit gegen Aufschwimmen wird dadurch nachgewiesen, dass der Bemessungswert der Summe aus destabilisierenden ständigen und veränderlichen vertikalen Einwirkungen Vdst;d (i. d.R. der Wasserdruck) kleiner oder gleich der Summe des Bemessungswertes der stabilisierenden ständigen vertikalen Einwirkungen Gstb;d (i. d. R. das Eigengewicht) ist (vgl. DIN EN 1997-1):
Gegebenenfalls darf auf der Seite der stabilisierenden Einwirkungen ein zusätzlicher Widerstand, z. B. in Form von Reibungskräften an Verbauwänden, angesetzt werden. Für Details zum Nachweis gegen Aufschwimmen sei auf das Buch „Geotechnische Nachweise nach EC 7 und DIN 1054 – Einführung mit Beispielen“ von Ziegler [2] sowie auf die entsprechenden Normen (DIN EN 1997 1 [6], DIN 1054 [7]) und Empfehlungen (EAB [8], EAU [9]) verwiesen.
Die Gefahr von innerer Erosion und Piping ist hingegen im Allgemeinen rechnerisch nicht zu erfassen und wird daher durch die Einhaltung von Filterkriterien verhindert. Können die geometrischen Kriterien nicht eingehalten werden, muss hingegen nachgewiesen werden, dass der vorhandene hydraulische Gradient genügend weit unter dem Bemessungswert des kritischen Gradienten bleibt, bei dem die feinen Bodenteilchen in Bewegung geraten (vgl. DIN EN 1997-1).
Nach Busch et al [1] darf der charakteristische kritische Gradient für nichtbindige Böden ohne genauere Untersuchungen zu i krit.,k ≈ 0,66 angenommen werden. Für weitere Details sei neben den bereits genannten Normen und Empfehlungen insbesondere auf die Merkblätter der BAW (MAK 1989 [10], MSD 2011 [11]) und auf die weiterführende Literatur (z. B. Busch et al. [1], Ziegler [2]) verwiesen.
3. Hydraulischer Grundbruch
3.1 Phänomen
Die sicher bekannteste und zeitgleich auch gefährlichste hydraulisch bedingte Versagensform stellt der hydraulische Grundbruch dar. Auch der breiten Öffentlichkeit bekannte Fälle in Zusammenhang mit hydraulischem Grundbruch sind die havarierte Baugrube am Lehrter Bahnhof in Berlin, der Einsturz des Stadtarchivs in Köln oder die im Bild zu sehende havarierte Baugrube in Biel.
Die Gefährlichkeit des hydraulischen Grundbruchs resultiert aus dem Umstand, dass er i. d.R. ohne große Vorankündigung und sehr schnell eintritt. Hinzukommt, dass ein hydraulischer Grundbruch im Allgemeinen nicht mehr aufzuhalten ist, wenn er erst mal begonnen hat.
Ein hydraulischer Grundbruch tritt dann ein, wenn ein Boden durch eine nach oben gerichtete Strömungskraft – z. B. hervorgerufen durch einen innerhalb der Baugrube niedrigeren Wasserstand als außerhalb der Baugrube – gewichtslos wird. Mit welcher Kraft und Dynamik ein hydraulischer Grundbruch auftreten kann, zeigen die nachfolgenden Fotos eines Modellversuchs, der vom Autor während seiner Zeit am Lehrstuhl für Geotechnik im Bauwesen (GiB) an der RWTH Aachen durchgeführt wurde. Das erste Foto zeigt zunächst einen Ausgangszustand, bei dem der Wasserspiegel innerhalb einer fiktiven Baugrube (links) noch dem Außenwasserstand (rechts) entspricht. Eine nach oben gerichtete Strömungskraft ist damit noch nicht vorhanden. Während des Versuchs wurde dann der Wasserstand im Baugrubeninneren sukzessive abgesenkt, bis es schließlich zum Versagen durch hydraulischen Grundbruch kam (unteres Foto). Es ist ersichtlich, dass ein solcher Vorgang nicht mehr aufzuhalten ist, wenn er einmal begonnen hat.
3.2 Nachweisführung
Zur Vermeidung des hydraulischen Grundbruchs ist nachzuweisen, dass der Bemessungswert der destabilisierenden Strömungskraft kleiner oder gleich der stabilisierenden Gewichtskraft des Bodens unter Auftrieb bleibt (vgl. DIN EN 1997-1):
Dabei ist in der Regel der sogenannte Terzaghi-Körper (vgl. [3]) zu betrachten, dessen Breite gleich der halben Einbindetiefe der Wand und dessen Höhe gleich der Einbindetiefe ist. Die Ermittlung der Strömungskraft hat auf Basis der Potentialverteilung bzw. der Auswertung eines Strömungsnetzes zu erfolgen, was i. d. R. mit Hilfe numerischer Softwarelösungen erfolgen kann.
Vor der Anwendung einfacher Näherungslösungen und insbesondere der Annahme eines linearen Potentialabbaus sei an dieser Stelle ausdrücklich gewarnt, da diese weit auf der unsicheren Seite liegende Ergebnisse liefern können. Dies gilt insbesondere für schmale und/oder tiefe Baugruben und die Eckbereiche von Baugruben (vgl. [4], [5]).
3.3 Bemessungsformel und Bemessungstool ZAI-HYD
Auf Basis zahlreicher numerischer Untersuchungen während seiner Zeit am GiB hat der Autor zunächst Bemessungsdiagramme und schließlich eine allgemeingültige Formel entwickelt. Mit dieser Formel kann die für ausreichende Sicherheit gegen hydraulischen Grundbruch erforderliche Einbindetiefe in Abhängigkeit von
- der räumlichen Situation: ebener Fall, Längsseite einer Baugrube, Stirnseite einer Baugrube, Ecke einer Baugrube, der Breite der Baugrube,
- der Wasserspiegeldifferenz,
- der Aquifermächtigkeit,
- der Wichte des Baugrunds und
- der einzuhaltenden Sicherheit
bestimmt werden. Die Formel:
In einem weiteren Schritt wurde auf Basis der Formel das Softwareprogramm ZAI-HYD entwickelt. In diesem Programm können die o.g. Randbedingungen vom Benutzer eingegeben werden und die erforderliche Einbindetiefe wird sowohl für den ebenen Fall als auch für die Längsseite, die Stirnseite und die Ecke der Baugrube ausgegeben. Zusätzlich erfolgt eine grafische Anzeige der Randbedingungen und Ergebnisse, wie das folgende Bild zeigt.
Über Schieberegler kann außerdem unmittelbar die Auswirkung einzelner Randbedingungen schnell und einfach überprüft werden. ZAI-HYD kann auf Anfrage über https://www.zai-ingenieure.de/de/kontakt/ kostenfrei bezogen werden.
4. Hinweise auf besondere Verhältnisse
Wie bereits erwähnt, sollten einfache Näherungslösungen nicht verwendet werden, die im Gegensatz zur hier vorgestellten Lösung wichtige Randbedingungen vernachlässigen. Des Weiteren sind aber auch die Bemessungsformel und ZAI-HYD in dieser Form z. B. nicht für anisotrope oder geschichtete Verhältnisse anwendbar. Zwar wurden diesbezügliche Erweiterungen aufgestellt (vgl. [4]), allerdings bewusst nicht integriert. Dies begründet sich damit, dass bei solchen Verhältnissen besondere Sachkunde erforderlich ist und immer eine individuelle Betrachtung und Sensitivitätsanalyse erfolgen sollte. Die Durchlässigkeitsunterschiede spielen dann eine besondere Rolle, zählen aber zu den am schwierigsten bestimmbaren Größen in der Geotechnik.
Für weitere Informationen zu besonderen Verhältnissen wie Anisotropie, Schichtung, Schächte oder abgestufte Einbindetiefe entlang der Verbauwand sei an dieser Stelle zum einen auf die Dissertation des Autors [4] und zum anderen auf die Veröffentlichung „Einfache Bemessung von Baugruben und Schächten im Hinblick auf die Sicherheit gegen hydraulischen Grundbruch“ [5] in der Geomechanics & Tunnelling verwiesen, die als Sonderdruck ebenfalls über die o. g. Website bezogen werden kann.
5. Literatur, Normen und Empfehlungen
[1] Busch, K.-F., Luckner, L., Tiemer, K. (1993): Lehrbuch der Hydrogeologie, Band 3, Geohydraulik. Gebrüder Borntraeger, Berlin.
[2] Ziegler, Martin (2012): Geotechnische Nachweise nach EC 7 und DIN 1054 : Einführung mit Beispielen. 3., vollständig überarbeitete Aufl. Berlin, Ernst & Sohn, 2012. (Bauingenieur-Praxis), ISBN 978-3-433-02975-6.
[3] Aulbach, Benjamin; Ziegler, Martin: Versagensform und Nachweisformat beim hydraulischen Grundbruch - Plädoyer für den Terzaghi-Körper. In: Geotechnik 37 (2014), H. 1, S. 6-18, ISSN 0172-6145.
[4] Aulbach, Benjamin: Hydraulischer Grundbruch: zur erforderlichen Einbindetiefe bei Baugruben in nichtbindigem Baugrund Dissertation, RWTH Aachen, 2013, URN: urn:nbn:de:hbz:82-opus-46909
[5] Aulbach, Benjamin; Ziegler, Martin: Simplified design of excavation support and shafts for safety against hydraulic heave = Einfache Bemessung von Baugruben und Schächten im Hinblick auf die Sicherheit gegen hydraulischen Grundbruch. In: Geomechanics and Tunnelling 6 (2013), H. 4, S. 362-374, ISSN 1865-7362.
[6] DIN EN 1997-1:2014-03. Eurocode 7. Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik – Teil 1: Allgemeine Regeln; Deutsche Fassung EN 1997-1:2004 + AC:2009 + A1:2013
[7] DIN 1054:2010-12. Baugrund – Sicherheitsnachweise im Erd- und Grundbau – Ergänzende Regelungen zu DIN EN 1997-1
[8] EAB, 5.Auflage. Empfehlungen des Arbeitskreises „Baugruben“. Deutsche Gesellschaft für Geotechnik e.V. (DGGT), 2012
[9] EAU, 11. Auflage (2012): Empfehlungen des Arbeitsausschusses „Ufereinfassungen“, Häfen und Wasserstraßen. Hafenbautechnische Gesellschaft e.V. (HTG) und Deutsche Gesellschaft für Geotechnik e.V. (DGGT).
[10] MAK (1989): Merkblatt Anwendung von Kornfiltern an Wasserstraßen. Bundesanstalt für Wasserbau (BAW).
[11] MSD (2011): Merkblatt Standsicherheit von Dämmen an Bundeswasserfernstraßen. Bundesanstalt für Wasserbau (BAW).